Was zunächst simpel klingt, erweist sich in vielen ERP-Projekten als kritischer Erfolgsfaktor: Klare Projektziele setzen und konsequent daran festhalten.
Der Umfang eines ERP-Projekts ist bereits nach der initialen Anforderungsanalyse erheblich. Trotzdem ist es üblich, dass im Projektverlauf zusätzliche Anforderungen entstehen. Je tiefer das Team in das neue System eintaucht, desto stärker werden Details hinterfragt. Häufig fallen Sätze wie: „Wenn wir schon den Prozess zur Auftragsbearbeitung optimieren, könnten wir auch noch eine zusätzliche Information an Position XY hinzufügen – und eine kleine Funktion zur automatischen Anzeige von XYZ wäre auch hilfreich.“
Solche Ergänzungen sind ganz normal, bergen jedoch Risiken. Um das Projekt auf Kurs zu halten, ist es entscheidend, den Fokus nicht zu verlieren. Andernfalls drohen folgende Probleme:
Verzögerter Projektfortschritt durch ungeplante Anforderungen
Ein erheblicher Aufwand fließt oft in Anforderungen, die nur begrenzt zur Zielerreichung beitragen. Der tatsächliche Aufwand für Anforderungsaufnahme, Konzeption, Umsetzung, Tests und Besprechungen wird häufig von den Projektbeteiligten unterschätzt – sowohl der Aufwand für die internen Projektbeteiligten als auch der des Softwareanbieters.
Wenn weniger relevante Themen überproportional Ressourcen binden, fehlen diese für geschäftskritische Prozesse. Bedenklich sind beispielsweise auch übermäßige Reporting-Aktivitäten, die keinen echten Mehrwert liefern. Oft werden umfangreiche Statistiken erstellt, die viel Zeit bei der Datenerhebung und -analyse einnehmen. Gleichzeitig ist deren Nutzen fraglich, da aus ihnen häufig keine konkreten Maßnahmen abgeleitet werden.
Spätestens an Meilensteinen wird dann sichtbar, dass das Projekt hinter den Erwartungen zurückbleibt oder die Qualität nicht den Anforderungen entspricht. Im schlimmsten Fall muss sogar ein neuer Echtstarttermin in Betracht gezogen werden.
Explodierende Kosten durch ungeplante Anforderungen
Zusätzliche Anforderungen bringen einen höheren Zeitaufwand mit sich und dementsprechend auch steigende Kosten. Dabei fallen nicht nur die direkten Umsetzungskosten des Softwaredienstleisters ins Gewicht, sondern auch dessen Aufwand für Abstimmungen, Dokumentation und Testsupport. Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ können viele kleine Anpassungen schnell erhebliche Mehrkosten verursachen – oft ohne dass es den Projektbeteiligten unmittelbar bewusst wird. Nicht selten führt dies in ERP- Projekten zu temporären Projektpausen, in denen das Budget neu bewertet werden muss.
Fokussierung zur Sicherung der Projektziele
Um das Projektziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist ein klarer Fokus von Anfang an essenziell. Eine von mir gern genutzte Methode zur Strukturierung ist die der Geschäftsprozessanalyse. Sie dient zur Aufnahme der Anforderungen und Arbeitsabläufe, sodass ein vollständiges Bild aller internen Unternehmensprozesse entsteht. Außerdem kann bereits bei der ERP-Auswahl das Projektziel mit Hilfe des Lastenheftes fixiert werden.
Es ist erfahrungsgemäß unvermeidlich, Anforderungen zu priorisieren und auf weniger kritische Aspekte vor dem Echtstart zu verzichten – schlichtweg, weil nicht alles innerhalb des Zeitrahmens umgesetzt werden kann. Daher sollte der Projektfokus frühzeitig mit allen Beteiligten abgestimmt werden. Als Grundlage könnten zum Beispiel alle Teammitglieder das Lastenheft, die Geschäftsprozessdokumentation und/oder den Projektvertrag lesen, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen.
Ein klarer Leitfaden für die Projektziele könnte lauten:
- Einsatz des Standard-ERP-Systems mit minimaler Individualisierung.
- Priorisierung der Hauptprozesse („Showstopper“). Sonderfälle erst nach Echtstart, solange sie realisierbar sind
- Vermeidung von Change Requests und unnötigen Zusatzkosten, durch hohe Hürden. Beispielsweise erfolgen Freigaben nur über die Geschäftsführung.
Priorisierung zur Sicherung der Projektziele
Bereits bei der Erstellung des Projekt-Backlogs, also der Gesamtliste aller Anforderungen, ist eine Priorisierung sinnvoll. Diese dient als roter Faden und hilft, die Inhalte zeitlich effektiv zu ordnen. Dabei sollten nicht nur die Wichtigkeit der Anforderungen berücksichtigt werden, sondern auch deren inhaltliche Zusammenhänge. Beispielsweise macht es wenig Sinn, Belegausdrucke zu gestalten, bevor die Grundprozesse in Einkauf und Verkauf definiert sind – sonst fehlen möglicherweise wichtige Informationen.
Ein Beispiel für eine effektive Priorisierung:
- Aufbau eines stringenten Kernprozesses in den Bereichen Stammdaten/Einkauf/Verkauf/Planung/Produktion und Logistik
- Erweiterung und Vertiefung der Prozesse in den o.g. Bereichen
- Belege und Reportdesign
- Pufferzeit für essenzielle Themen, die erst während der Analyse oder Tests auffallen
- Themen für ein mögliches Folgeprojekt nach dem Echtstart
Durch die gezielte Einplanung von Pufferzeiten für nachträglich entdeckte Echtstartrelevante Themen lassen sich große Verzögerungen oder eine Verschiebung des Echtstarttermins vermeiden. Gleichzeitig sollten alle weiteren offenen Themen zwar dokumentiert, aber bewusst niedriger priorisiert werden – so gehen wertvolle Ideen nicht verloren und können als Basis für zukünftige Projekte dienen.
Fazit
Ein erfolgreiches ERP-Projekt erfordert einen klaren Fokus auf definierte Projektziele. Da zusätzliche Anforderungen im Laufe des Projekts unvermeidlich sind, sollten diese sorgfältig geprüft und priorisiert werden, um Verzögerungen und Kostensteigerungen zu vermeiden. Eine strukturierte Herangehensweise, beispielsweise durch eine vorherige Geschäftsprozessanalyse und ein gut priorisiertes Backlog, hilft dabei, den Überblick zu behalten und die Projektziele zu erreichen.