ERP-Projekt: Die Startphase

Startlinie

Inhaltsangabe

Aktuell befinden sich drei meiner ERP-Projekte in der Startphase, also der Phase zwischen der Entscheidung für einen Anbieter und dem Zeitpunkt, an dem man davon reden kann, dass die Einführung des Projekts „läuft“. Zeitgleich drei Projekte in dieser doch recht anspruchsvollen Phase zu haben ist sicherlich nicht normal, für mich hat es sich nun mal aber so ergeben. 🙂

Warum ein eigener Beitrag zu dieser Phase? Überwiegend deshalb, weil es wahrscheinlich einer der spannendsten Zeiträume in einem ERP-Projekt ist. Es ist auch die Phase, in der es einfach ist, unglaublich viel Zeit zu verschwenden, Ergebnisse zu verzögern und letztlich sogar hier schon den eigentlich geplanten Echtstart zu gefährden. Diese Phase ist entscheidend für die Implementierung, da sie die grundlegenden Anforderungen des Unternehmens festlegt und die Weichen für die Arbeit der involvierten Mitarbeiter stellt.

Aber fangen wir vorn an.

Was sind die Ziele / die Ergebnisse dieser Phase?

  • Verhandlungen und Klärungen
    • Verhandlung und Unterschrift des Projektvertrags
    • Klärung letzter fachlicher und kaufmännischer Unklarheiten
    • Erstellung des kundenseitigen, internen Projektbudgets inklusive der eingeplanten Pufferbudgets
  • Projektorganisation und Planung
    • Finale Aufstellung des Projektteams auf beim Auftraggeber und beim Anbieter
    • Aufstellung der Ressourcenplanung für das gesamte Projekt
    • Erstellung des (ersten) groben Gesamtprojektplans
    • Klärung der projektinternen Prozesse und Informationswege
  • Erste Tätigkeiten
    • Installation / Bereitstellung des Systems
    • Durchführung erste Schulungen
    • Start der Workshops

Sicherlich gibt es noch viele Aspekte, die man je nach Ablauf und Implementierung des Projekts in dieser Phase durchführen sollte, aber wir belassen es vorerst hierbei. Weiterhin kann es auch Abweichungen durch unterschiedliche Vorgehensweisen in der Anbieterauswahl geben. Im Großen und Ganzen findet man sich aber irgendwann mit den oben genannten Punkten konfrontiert.

Aus meiner Sicht muss es das Ziel der Startphase sein, sie so schnell und effizient wie möglich zu beenden, ohne dabei Fehler zu begehen, welche einem im Nachhinein leidtun. Ich persönlich finde die Schnelligkeit in dieser Phase so immens wichtig, da sich leider immer wieder zeigt, dass es massive Verzögerungen gibt, trotz einer absolut überschaubaren Anzahl an Tätigkeiten. Diese Phase ist entscheidend für den Erfolg der Einführung und sollte in enger Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Abteilungen und Mitarbeitern des Unternehmens erfolgen. Dabei ist es wichtig, sowohl das Lastenheft als auch das Pflichtenheft präzise zu definieren, um die Umsetzung der Implementierung auf eine solide Basis zu stellen.

In diesem Artikel habe ich die Dauer der Phase mit ca. 3 Monaten angegeben. Leider sind mir auch Fälle bekannt, in denen alleine die Vertragsverhandlungen mehr als 6 Monate gedauert haben, ein Umstand, der an Tragik kaum zu überbieten ist.

Der Start: Vertragsverhandlungen und Unterschrift

Je nach Stand der Auswahl kann diese Phase der ERP-Einführung einiges an Zeit beanspruchen. In jedem Fall sollte man einen Juristen zurate ziehen, der schon einige ERP-Verträge verhandelt hat. Dieser ist in der Lage, den Standardvertrag des Anbieters zu kommentieren und so für eine „juristische“ Verhandlung vorzubereiten, was eine essenzielle Herausforderung im Ablauf darstellt.

Des Weiteren sollte der Projektleiter, ggf. zusammen mit einem Auswahlberater, die unterschiedlichen Informationen aus Angebot sowie den Vertragsunterlagen in einer übersichtlichen (Excel) Form zusammentragen. Dabei geht es noch einmal darum, sämtliche Kosten aufzulisten (Lizenzen, Dienstleistungen usw.), aber auch darum, weitere projektrelevante Fakten zu sammeln. Hier nur ein kurzer Auszug möglicher weiterer Themen:

  • Wann werden die Lizenzen berechnet (und müssen direkt alle erworben werden)
  • Wann beginnt die Wartung, zu welchen Kosten
  • Welches Zahlungsziel gilt
  • Welche Preisbindung gibt es in den unterschiedlichen Bereichen
  • Beteiligt sich der Anbieter adäquat am Budget- und Terminrisiko (Bonus Malus Regelungen, Fixpreise, etc.)
  • Sind die wichtigsten Projektmitglieder schriftlich benannt
  • Ist ein Projektplan / sind Meilensteine fester Vertragsbestandteil
  • Etc.

Diese Aufgaben erfordern eine detaillierte Analyse der verfügbaren Lösungen und (Software)-Optionen, die eine umfassende Implementierung ermöglichen. Eine Fülle von Informationen, welche aus den Unterlagen extrahiert werden muss, damit man in der Lage ist, diese effizient zu verhandeln. Der Anbieter sollte vor dem Start der Verhandlungen einmal bestätigen, dass die extrahierten Informationen korrekt sind. Ich persönlich favorisiere eine Vorgehensweise, in der man alle kaufmännischen Themen anhand einer Liste bespricht, die dann getroffenen Vereinbarungen in den Vertrag sowie das Angebot einarbeitet, und den Vertrag dann „nur noch“ aus juristischer Sicht verhandelt.

Frau in roter Bluse unterschreibt einen Vertrag.

Eine Frage, mit der man sich definitiv vor den Verhandlungen beschäftigen sollte, ist, ob parallel zu den Verhandlungen bereits Projekttätigkeiten durchgeführt werden sollen (dies kann natürlich nur der Fall sein, wenn man sich für einen Anbieter entschieden hat und sich mit diesem auch in hohem Maße einig ist). Falls dies nicht gewünscht ist, sollte man mit dem Anbieter einmal darüber diskutieren, an welchem Punkt er sein Projektteam fest einplant und die Personen reserviert. Oftmals lautet die Antwort, dass die Planung von Ressourcen erst mit Vertragsunterschrift und somit finaler Beauftragung startet. Eine mehr als unglückliche Situation, da in diesem Fall die komplette Anlaufphase, welche ein solches Projekt nun mal immer benötigt, erst nach Unterschrift startet und somit erste wichtige Wochen ungenutzt verstreichen. Man sollte in jedem Fall versuchen, eine feste Ressourcenzusage zu bekommen.

Projektorganisation und Planung

Wenn die Projektmethodik mit dem Anbieter bisher nicht fest definiert ist, tun Sie dies jetzt! Dieser Punkt kann zu kontroversen Diskussionen führen, wenn der Kundenwunsch nicht der Anbieterpräferenz entspricht. Viele Anbieter haben leider keine Erfahrungen in kundenindividuellen Methodiken und beharren recht lange auf ihren „Standards“. Es spricht grundlegend nicht zwingend etwas dagegen, die Methodik des Anbieters zu übernehmen, wenn sie gut ist UND zu Ihrem Unternehmen passt.

Wie im Bereich der Verträge schon beschrieben, ist es unterschiedlich, wann mit der Projektplanung gestartet werden kann. Im Rahmen dieser Planung muss für alle Bereiche ein grober Plan erstellt werden, mit dem man erst mal loslegen kann. Zusätzlich müssen natürlich die wichtigsten Meilensteine, welche sich je nach Projektmethodik auch ein wenig unterscheiden, fest definiert sein. Gleiches muss auch für die Termine in den ersten Projektwochen gelten.

Das Ziel ist es, diesen Part so schnell und effizient wie möglich abzuschließen, das gesamte Projektteam ans Arbeiten zu bekommen und sich dann erst mit der Detaillierung der Punkte auseinanderzusetzen, die am Anfang bis jetzt nicht zwingend notwendig sind. Eine genaue Terminierung von Workshops, welche z. B. noch mehr als 4 Monate entfernt sind, ist meist nur bedingt zu empfehlen.

Nicht warten sollte man mit der finalen Aufstellung des eigenen Projektteams. Genau genommen kann dies schon vor der Startphase festgelegt werden, sollte nun aber noch mal überprüft werden. Ein Projektorganigramm, sowie eine Keyuserliste inkl. E-Mail-Adresse und Telefonnummern wird jeder Anbieter zu irgendeinem Zeitpunkt benötigen.

Jetzt noch ein paar Worte zum Thema Ressourcenplanung. Leider ist es mittlerweile „normal“ geworden, dass Ressourcenengpässe ein Projekt verzögern. Dies gilt nicht nur für die Kunden-, sondern auch für die Anbieterseite. Angesichts dessen ist es in meinen Augen unerlässlich, eine komplette Ressourcenplanung einzufordern. Als Kunde möchte ich jederzeit wissen, wie der Anbieter das Projektteam eingeplant hat und ob die Planzeiten mindestens den beauftragten Tätigkeiten + Pufferzeiten entsprechen. Für mich ist es wichtig, nicht nur das Budget jederzeit auf dem aktuellen Stand zu halten, sondern auch genau nachzuvollziehen, welcher Berater mit wie vielen Tagen pro Monat gearbeitet hat und wie viele Tage er jeweils pro Monat gearbeitet hat. Also klassisches Projektcontrolling.

Was sind die ersten Tätigkeiten bei einem ERP-Projekt?

Viele der ersten notwendigen Tätigkeiten ergeben sich von selbst im Rahmen der ERP-Einführung. Grundsätzlich muss zuallererst das System den Keyusern bereitgestellt werden. Hier sollte eingeplant werden, dass dieses Demosystem bereits mit grundlegenden Kundenstammdaten gefüllt wird. Ein überschaubares Set aus ausgewählten Artikeln, Kunden und Lieferanten hat noch immer dafür gesorgt, dass die ersten Schulungen und Workshops durch die Keyuser leichter zu bewältigen sind und nebenbei auch noch mehr Spaß machen. Dabei müssen natürlich nicht die kompletten Datensätze übernommen werden, Artikelnummer, Bezeichnungen, ein paar Einheiten, fertig. Wenn man die Zeit hat, kann man natürlich auch schon z. B. erste Stücklisten und/oder Klassifizierungen hinterlegen.

Bei der Durchführung der ersten Schulungen ist aus meiner Sicht nicht viel zu beachten. Jeder Anbieter hat da so seine Art und Weise, hoffentlich unterlegt durch entsprechende Unterlagen. Achten Sie nur darauf, dass nicht zu viel Zeit zwischen den Schulungen und den ersten Workshops vergeht. Ich denke mehr als 3 Wochen sollten es für das Gros der Keyuser nicht sein.

Zu den ersten Workshops ist zu sagen, dass es vorteilhaft ist, diese an den ganz normalen „Standardprozessen“ des Unternehmens auszurichten. Dies stellt sicher, dass man nicht direkt zu Anfang des Projekts in die Spezialfälle abgleitet. Zusätzlich hat es den Vorteil, dass es schnell gelingt, eine große Anzahl Keyuser aktiv in das Projekt einzubinden. Ich persönlich plane Projektworkshops zusammen mit den Anbietern anhand der vorher erstellten GP-Liste. Es gibt sicherlich viele Möglichkeiten, die Reihenfolge von Workshops zu bestimmen und festzulegen. Für mich gibt es da allerdings zwei Dinge, die man auf jeden Fall vermeiden sollte:

  • Funktionsorientierte Workshops
  • Zu einfache Workshops

Zum Thema funktionsorientierte Workshops. Dazu zählen für mich gerade die Workshops, welche sich mit bestimmten Daten oder Belegen befassen. Hier ein paar Beispiele:

  • Workshops zum Thema Artikelstamm
  • Workshops zu Debitorstammdaten
  • Workshops „Angebotserfassung“

Alles Workshops, die Sinn ergeben können (allerdings doch eher selten), aber leider die zwei Eigenschaften besitzen: Sie sind für die Keyuser, gerade wenn sie das neue ERP-System bisher nicht gut kennen, sterbenslangweilig. Noch schlimmer ist, dass diese Art Workshops es absolut fördert, dass die Keyuser mal kurz wieder das Altsystem aufmachen und dort nachschauen, was man denn so alles benötigen könnte. Die Herausforderung liegt darin, die Lösung so zu gestalten, dass sie den tatsächlichen Anforderungen gerecht wird und den Ablauf des Projekts unterstützt, um eine optimale Implementierung der Software zu gewährleisten.

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Über den Autor

In seinen Artikeln zum Thema ERP-Software beleuchtet der erfahrene Projektmanager alle relevanten Prozesse. Neben dem Thema Wirtschaftlichkeit steht dabei vor allem die Motivation aller Beteiligten im Vordergrund. Mit seinem bedürfnisorientierten 360°-Konzept und dem 6-Phasen-Modell deckt er alle Aspekte eines erfolgreichen ERP-Projekts ab.