Heute möchte ich mich einmal mit einer Frage beschäftigen, die mir schon des Öfteren im Kontext von ERP-Projektmanagement auf verschiedene Art und Weise gestellt wurde.
Die Frage, ob der Projektleiter eines ERP-Projekts die ausgewählte Software kennen muss, bzw. inwieweit dies einen Vorteil darstellt, ist besonders relevant. Eins kann ich vorwegnehmen: Es stellt sicherlich keinen Nachteil dar, wenn der Projektmanager in der einzusetzenden Software bereits ausgebildet ist, bzw. diese vielleicht sogar schon ein paar Mal erfolgreich eingeführt hat. Auf der anderen Seite engt es den Kreis der Kandidaten meist immens ein, wenn dieses Kriterium zu einem Muss erhoben wird. Aber starten wir vorn:
Wann ist Softwarekenntnis erforderlich?
In welchen Fällen stellt sich für Sie die Frage, ob der Projektleiter die Software kennen muss, überhaupt. Aus meiner Sicht gibt es nur genau eine Konstellation, in der dies der Fall ist:
- Projektfortschritt: Sie haben die ersten beiden Phasen (6-Phasen einer ERP-Einführung) bereits abgeschlossen, bzw. so weit abgeschlossen, dass die einzusetzende ERP-Lösung bereits feststeht. Gleiches gilt natürlich, wenn im Rahmen eines großen Upgrade Projekts, bzw. eines Neuaufsatzes der bereits eingesetzten Software, die Software de facto feststeht.
- Einstellung eines Projektleiters: Sie beabsichtigen einen neuen Projektleiter einzustellen, bzw. einen externen Projektleiter für Ihr Projektteam zu beauftragen. In diesem Fall ist es von Vorteil, wenn der Projektleiter bereits mit den spezifischen Funktionen und Modulen der ausgewählten ERP-Software vertraut ist, um die Implementierung effektiv zu leiten und aufkommende Herausforderungen proaktiv zu managen.
Wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, ist es generell möglich, gezielt nach einem Projektleiter mit der entsprechenden Erfahrung mit der betreffenden Software zu suchen.
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, macht es in meinen Augen keinen großen Sinn, dass Sie sich länger mit der Frage beschäftigen. Der Projektleiter wird im Idealfall Ihr ERP-Projekt von der Planungsphase an begleiten. In dieser initialen Phase des Projektmanagements steht die spezifische Softwarelösung bisher nicht fest. Dies gilt ebenso, wenn Sie die Rolle des Projektleiters intern besetzen möchten. Die wenigsten mittelständischen Unternehmen verfügen über mehrere Mitarbeiter, die sowohl für die Projektleitung qualifiziert sind als auch Erfahrungen in unterschiedlichen ERP-Systemen mitbringen. In solchen Fällen erübrigt sich die Frage nach spezifischen Softwarekenntnissen des Projektleiters meistens.
Auswirkungen der Softwarekenntnis aufs Projektmanagement
Aber schauen wir uns einmal gemeinsam an, inwieweit die Kenntnis der Software eigentlich notwendig ist und an welchen Stellen Sie einen Vorteil bietet. Ich habe in einem anderen Artikel, schon einmal die klassischen Aufgaben eines ERP-Projektleiters niedergeschrieben. Ich möchte an dieser Stelle einmal kurz auflisten, wie sich die Kenntnis der Software auf die entsprechenden Aufgabenbereiche auswirkt:
- Projektplanung → in meinen Augen beinahe keine Auswirkung. Die Projektplanung ist nahezu unabhängig von der einzusetzenden Software, wenn nicht sogar komplett unabhängig.
- Teamführung → Keine Auswirkung
- Budgetierung und Ressourcenmanagement → Keine Auswirkung
- Kommunikation und Stakeholdermanagement → Keine Auswirkung
- Risikomanagement → Nahezu keine Auswirkung. Eine Ausnahme an dieser Stelle wäre, wenn die einzusetzende Software bestimmte Schwächen / Probleme mit sich bringt, die dann ggf. dem Projektleiter bekannt sind. Dieses Wissen kann er in das Risikomanagement einbringen.
- Qualitätssicherung → Hier sind die größten Auswirkungen zu erwarten. Ein Projektleiter, der die ausgewählte Software bereits einige Male eingeführt hat, sollte an dieser Stelle einen entsprechenden Mehrwert bieten, indem er die Qualität hinsichtlich Individualprogrammierungen und Beratungs- und Beraterqualität besser beurteilen kann als jemand, der nicht über diese Erfahrung verfügt.
- Change-Management → Keine Auswirkungen
- Projektdokumentation → Keine Auswirkungen
Wenn wir diese Liste betrachten, fällt auf, dass es gerade mal einen Punkt gibt, in dem die Kenntnis der Software wirklich einen Unterschied macht. Hierbei ist es wichtig, dass die Systemkenntnis des Projektleiters wirklich tiefgehend sein muss, um dieses Potenzial auch wirklich zu nutzen, ansonsten wird kaum ein Effekt eintreten.
Wofür der ERP-Projektleiter nicht zuständig ist
Es scheint nun so, als sei die Frage „eigentlich“ gar nicht so wichtig und doch scheint sie Unternehmer und Projektverantwortliche umzutreiben. Der Grund ist meines Erachtens, dass es weitere Aufgabengebiete gibt, die es abzudecken gilt, und die gerne dem Projektleiter „zugeschustert“ werden. Hier mal ein paar Beispiele:
- Fachliche Beratung in den unterschiedlichen Unternehmensbereichen
- Durchführung von Datenübernahmen
- Test und Abnahme von Einrichtungen sowie Programmierungen
- Prüfung und Freigabe von Konzepten und Spezifikationen
Dies sind alles Themen, die nicht durch die Rolle des Projektleiters erledigt werden sollten und in den allermeisten Fällen auch nicht durch die Person, die diese Rolle übernimmt. Es handelt sich um fachliche Aufgaben, die entweder bei den entsprechenden Keyusern oder beim Softwareanbieter besser aufgehoben sind. Interessanterweise gehört der Punkt 6 aus der obigen Liste auch mit in diese Kategorie der fachlichen und nicht der organisatorischen Themen. Das erklärt, warum dort der größte Effekt zu erwarten ist.
Grundsätzlich sollten Sie bei der Übertragung fachlicher Aufgaben an den (externen) Projektleiter vorsichtig sein:
- Wissensgenerierung: Ein externer Projektleiter sollte nicht mit fachlichen Aufgaben betraut werden, deren Ausführung Wissen generiert, welches Sie später im Unternehmen noch benötigen. Durch Tests und Einrichtungsarbeiten im System entsteht Wissen, das die Keyuser nach dem Echtstart benötigen, um andere Anwender zu unterstützen und gegebenenfalls die Prozesse zu optimieren.
- Projektengpässe: Die zu starke Einbindung von Projektleitern in fachliche Themen kann dazu führen, dass diese zum Flaschenhals werden, was wiederum dazu führt, dass organisatorische Aufgaben liegen bleiben. Diesen Zustand gilt es unbedingt zu vermeiden.
- Kostenüberlegungen: Die Übertragung von Aufgaben an den externen Projektleiter spart in den seltensten Fällen Geld. Ein guter externer Projektleiter hat meist einen ähnlichen, wenn nicht höheren, Tagessatz wie ein guter ERP-Berater.
Ich möchte aber auch einen Punkt nicht unter den Teppich kehren, und da liegt vielleicht der größte Vorteil eines Projektleiters, der in dem einzuführenden ERP-System wirklich gut ausgebildet ist: Es gibt Konstellationen oder Projektsituationen, in denen diese Person aufgrund seiner hervorragenden fachlichen Ausbildung in der Lage ist, temporäre Ressourcenengpässe auf Ihrer Seite auszugleichen.
Noch ein Wort zu meiner Lieblingskonstellation aus diesem Artikel. Ein interner Projektleiter, unterstützt durch einen Mentor, welcher dem Projektleiter mit seiner Erfahrung zur Seite steht und immer dafür sorgt, dass Ihr Projekt bestmöglich geführt wird. Tendenziell nimmt die Wichtigkeit der Softwarekenntnis, bezogen auf den Mentor, hier noch weiter ab. Er soll ja eben nicht „selbst Hand anlegen“, sondern dem Projektleiter zur Seite stehen und die richtigen Weichen stellen. Trotzdem würde ich nie behaupten, dass es gar keinen Unterschied macht, aber die Prioritäten liegen ganz klar woanders.
Meine persönliche Sicht
Ich habe nun mittlerweile über 20 Jahre im Bereich Business Central auf dem Buckel und musste mich im Rahmen dieses Artikels natürlich auch fragen, was das hier Geschriebene nun für mich bedeutet. Es ist bei mir so, dass jedes Projekt, welches mit Business Central (früher mal Navision, bzw. Dynamics NAV) umgesetzt wird, sich ein wenig nach zu Hause anfühlt. Man kennt es, man kennt die Eigenheiten, man kann schon vorausahnen, was die Keyuser an dem System schätzen und wo es kritisiert werden wird. Man weiß auch ein wenig, wie die Anbieter in dem Segment ticken. Allerdings verleitet es ganz klar auch dazu, zu tief in das Fachliche einzusteigen. Die Projekte, bei denen ich meine Kunden bei der Auswahl und Einführung anderer Systeme unterstütze, zeigen mir, dass ich sowohl bei den Kundenprojekten als auch bei denen im Business Central Umfeld auf demselben hohen Niveau unterstützen kann.
Mein Fazit für Sie als Entscheider
Wenn Sie vor der Aufgabe stehen, die Rolle eines ERP-Projektleiters zu besetzen oder dieser Person einen Mentor zur Seite zu stellen, gibt es wesentlich wichtigere Kriterien, um eine geeignete Person zu finden, als nur die Kenntnisse der spezifischen Software. Diese Kriterien könnten Projektmanagement-Fähigkeiten, Erfahrung in ähnlichen Branchen, oder die Fähigkeit zur Kommunikation und zum Stakeholdermanagement umfassen. All diese Elemente sind entscheidend für den erfolgreichen Projektverlauf und die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen.
Sollten Sie jedoch am Ende des Auswahlprozesses zwei Kandidaten haben, die aus Ihrer Sicht gleich gut für die Position geeignet sind, empfiehlt es sich, denjenigen mit der größeren Erfahrung in der einzuführenden ERP-Software zu wählen. Dieser Vorteil kann im Projektverlauf signifikant sein, besonders wenn es um spezifische Anpassungen und die Qualitätssicherung der Lösung geht. Ein solches Wissen kann ein entscheidender Bestandteil für den Projekterfolg sein, insbesondere wenn unerwartete technische Herausforderungen auftreten.