Alles, was Sie über den ERP-Echtstart wissen müssen

Tastatur mit den Worten "ERP Echtstart"

Inhaltsangabe

Der ERP-Echtstart ist der Zeitpunkt, auf den das gesamte Projektteam hinarbeitet und ihm entgegenfiebert. Viele ERP-Projekte scheitern leider schon von Anfang an daran, einen realistischen Termin für die Einführung des ERP-Systems festzulegen. Nicht nur deswegen ist mir dieser wichtige Meilenstein auch einen eigenen Ratgeber wert.

Fangen wir mal mit den Voraussetzungen an. Eine vollständige Liste aller Anforderungen für die Implementierung des ERP-Systems aufzustellen ist nicht möglich, da diese je nach Projekt variieren. Trotzdem sollte man sich bereits vor Beginn des Projekts, genauer gesagt auch im Rahmen der initialen Projektplanung, mit einigen grundlegenden Themen befassen.

Voraussetzungen für einen Echtstart

  • Alle (wichtigen) Geschäftsprozesse wurden im Rahmen von Funktionstests erfolgreich getestet.
  • Das Produktivsystem steht zur Verfügung und wurde getestet. Idealerweise wurden die Integrationstests auf der Umgebung durchgeführt, auf der später auch das Echtsystem läuft.
  • Benutzer sind inkl. Benutzerrechten eingerichtet. Auch dies ist eher eine Voraussetzung für den letzten Integrationstest, welcher definitiv mit den „echten“ Berechtigungen durchgeführt werden sollte.
  • Mindestens ein Integrationstest wurde erfolgreich durchgeführt.
  • Ein Lasttest / Massentest wurde erfolgreich durchgeführt.
  • Für alle Prozesse existiert eine Userdokumentation.
  • Alle Enduser wurden geschult und haben die Dokumentation erhalten.
  • Eventuell notwendige Datenbereinigungen wurden im Altsystem durchgeführt.
  • Eine vollständige Datenmigration wurde erfolgreich durchgeführt und im Integrationstest entsprechend getestet und verifiziert. Für mich persönlich wäre schon ein Problem mit der Datenübernahme im Zweifel ein ausreichender Grund, um einen Integrationstest zu wiederholen.
  • Es wurde final geprüft, ob der geplante Projektumfang / der Projektscope komplett umgesetzt wurde.
  • Es ist geklärt, in welchem Umfang das Altsystem nach Echtstart noch zur Verfügung steht, sei es für Recherchen oder im Rahmen eines Fallback-Plans.
  • Die Anforderungen aus dem Lastenheft wurden erfüllt, was den Ablauf der finalen Phase und die Verfügbarkeit von Ressourcen bestätigt.

Diese Liste sollte erst einmal ausreichen, um zu zeigen, dass es schon einiges gibt, was vor der finalen Entscheidung zum Echtstart erledigt sein muss. Und wie gesagt: Die Liste ist alles andere als vollständig. Ich persönlich verwende sie, um im Rahmen einer ersten Projektplanung eine Rückwärtsplanung vom angedachten Echtstarttermin aus durchzuführen. Dabei wird sehr schnell klar (in Kombination mit einer Vorwärtsplanung, ausgehend vom Kick-off), ob der angedachte Termin generell realistisch ist.

Kommen wir zur eigentlichen Echtstartvorbereitung:

Die Grobplanung

Die Grobplanung des ERP-Echtstarts beginnt in meinen Projekten sehr früh, oft schon vor dem offiziellen Kick-off der Einführung. Zu diesem Zeitpunkt geht es darum, die kritischen Ziele und Eckpfeiler für den Echtstart festzulegen:

  • In welchen Monaten kann der Start überhaupt stattfinden? Dies ist besonders wichtig, wenn Ihr Unternehmen ein starkes Saisongeschäft hat.
  • Muss über eine Urlaubssperre für gewisse Mitarbeiter nachgedacht werden?
  • Wie wird der Echtstart durchgeführt? Startet alles auf einmal (Big Bang)?
  • Werden bestimmte Module nacheinander gestartet?
  • Werden unterschiedliche Standorte zu unterschiedlichen Terminen umgestellt?
  • Wird es eine Datenübernahme auch für offene Belege geben, oder ist ein gewisser Vorlauf nötig, um Belege manuell im Vorfeld zu erfassen?
  • Wie viel Zeit wird wahrscheinlich für den Echtstart benötigt? Reicht ein normales Wochenende, oder wird eine längere Periode für die Umstellung benötigt? Muss es vielleicht sogar um den Jahreswechsel passieren?
  • Möchte man Kunden und/oder Lieferanten über den geplanten Echtstart informieren, eventuell sogar für ein paar Tage schließen?

Diese Liste lässt sich sicherlich noch erweitern. Es ist nicht zwingend notwendig, zu allen Punkten schon zu Projektbeginn eine Entscheidung zu treffen. Jedoch ist es notwendig, diese Punkte alle einmal intensiv zu beleuchten, zu bewerten und zu priorisieren. Dazu nur ein Beispiel: Es ist entscheidend, frühzeitig die möglichen Einschränkungen für einen Echtstarttermin zu kennen. Es gibt Unternehmen, die tendenziell in jedem Monat mit dem neuen ERP-System starten können. Aber es gibt auch solche, die z. B. nur zwischen Oktober und Februar starten können, weil danach die Saison beginnt und man das Risiko nicht eingehen möchte. In so einem Fall wäre es nicht ideal, den geplanten Echtstart auf Februar zu legen, wenn man weiß, dass die kleinste mögliche Verschiebung 8 Monate betragen könnte.

Ein Zettel mit einem aufgezeichneten Projektdiagramm liegt auf einer Notebook Tastatur.

Die Feinplanung

Die Feinplanung eines Echtstarts ist wesentlich detaillierter als alle anderen Projektpläne, die im Rahmen der Einführung eines ERP-Systems erstellt werden. Es ist kritisch, die notwendigen Schritte in der richtigen Reihenfolge, mit der geschätzten Dauer und den zuständigen Personen aufzulisten. Meist ist es der einzige Plan, der auch die genauen Uhrzeiten berücksichtigt. Die folgenden Informationen sollten mindestens zu jedem Prozessschritt vorhanden sein:

  • Datum und (geplante) Startzeit
  • Dauer und somit geplante Endzeit
  • Beschreibung der Tätigkeit, unter Berücksichtigung spezifischer Anforderungen und Schulungsbedürfnisse
  • Link zur Dokumentation des Schrittes (immens wichtig, falls mal jemand ausfällt)
  • Verantwortliche Person aus dem Projektteam
  • Vertreter
  • Personen aus verschiedenen Abteilungen des Unternehmens, die nach Durchführung zu benachrichtigen sind

Zur Benachrichtigung: Oft gibt es eine Reihe von Mitarbeitern, die Tätigkeiten im Rahmen des Echtstarts durchführen müssen. Zusätzlich gibt es viele, die daran interessiert sind, über den Fortschritt auf dem Laufenden gehalten zu werden. Es empfiehlt sich daher, einen E-Mail-Verteiler zu erstellen, der alle interessierten Mitarbeiter enthält. Dieser kann dann für Statusmeldungen verwendet werden. Es ist selbstverständlich, dass jeder der Beteiligten eine Liste erhält, auf der alle handelnden Personen, inklusive E-Mail-Adresse und Handynummer, aufgelistet sind.

Die Durchführung des Echtstarts

Die genaue Durchführung des ERP-Echtstarts kann an dieser Stelle natürlich nicht detailliert beschrieben werden, da das Vorgehen in hohem Maße von den spezifischen Anforderungen und Prozessen des jeweiligen Unternehmens abhängt. Es gibt jedoch einige universelle Aspekte, die für die meisten ERP-Projekte im Mittelstand gelten, insbesondere im Hinblick auf die Einführung und Implementierung des ERP-Systems.

Der Support für die Endanwender

  1. Errichten Sie eine zentrale Stelle, an die Probleme geschickt werden können (z. B. ein Outlook-Postfach). Sorgen Sie dafür, dass jeder, der es benötigt, einen entsprechenden Zugriff darauf hat.
  2. Erstellung einer (Mail) Vorlage, mit der Probleme gemeldet werden. Dies soll vermeiden, dass Sie unklare Problemmeldungen wie „Auftrag geht nicht“ erhalten.
  3. Klare Zuständigkeit für die Abarbeitung festlegen: Wer sortiert die Probleme? Wer unterscheidet zwischen einem Problem und einer Neuanforderung?
  4. Definieren Sie, welcher Keyuser für welche Bereiche zuständig ist. Ebenso sollte klar sein, welcher Berater in welchem Bereich unterstützt.
  5. Standorte und Räumlichkeiten der Keyuser und Berater klären: Wo befinden sich diese Personen physisch während des Echtstarts?

Ich empfehle Ihnen, das komplette Prozedere soweit möglich bereits im letzten Integrationstest zu verwenden und zu üben. Dies hilft, die Abläufe und Schulungen auf das ERP-System effizient zu gestalten und sicherzustellen, dass alle Beteiligten mit der Software vertraut sind. Sie werden feststellen, dass eine gute Vorbereitung maßgeblich dazu beiträgt, die Herausforderungen während des Echtstarts zu minimieren.

Der Support durch den ERP-Anbieter während der Einführungsphase

Die aufgewendeten Zeiten sollten täglich zwischen den beiden Projektleitern diskutiert werden, da es sonst leider oft Diskussionen hinsichtlich Fehlerbehebung gibt. Es ist für beide Seiten schon schwer genug, während eines anstrengenden Echtstarts den Überblick zu behalten, welcher Berater, welche Zeiten für echten Support oder für Fehlerbehebung aufgewendet hat. Wenn Sie die Leistungsnachweise erst nach einer Woche, oder gar einem Monat prüfen, kann es zu sehr unschönen Diskussionen kommen, wenn Sie überzeugt sind, dass der Anteil der Fehlerbehebung seitens des Anbieters zu gering dokumentiert wurde.

Eine Möglichkeit, sich diesem Stress generell nicht erst auszusetzen, ist, wenn man mit dem Anbieter einen pauschalen Tagessatz für Echtstartsupport vereinbart. Ein üblicher Abschlag aus meinen vergangenen Projekten sind 20% auf den normalen Tagessatz, durch den dann die Fehlerbehebungen, welche es im Rahmen eines Echtstarts immer gibt, pauschal abgegolten sind.

Wählen Sie den Zeitraum für den Vorortsupport nicht zu kurz. Häufig sehe ich Angebote, in denen der Echtstart nur für die erste Woche kalkuliert ist. In den meisten Fällen würde ich eher mit 4–5 Wochen kalkulieren, wobei natürlich die Anzahl der Beratertage pro Woche immer weiter abnehmen sollte. Der Sinn dahinter ist folgender: Einerseits ist es wichtig, die wichtigsten Berater für sich geblockt zu haben und nicht zu früh mit anderen Kunden um diese zu konkurrieren. Wenn Sie die Berater nicht buchen, tut es jemand anderes. So einfach ist das Spiel an dieser Stelle. Sie können nicht erwarten, dass der Anbieter die Berater reserviert, für den Fall, dass Sie sich mit einem Problem melden.

Ein weiteres Risiko besteht in der zweiten Welle. Oft habe ich es erlebt, dass ein Echtstart etwas holprig anfing, nach ein paar Tagen aber so weit in den Griff bekommen wurde. Der Vor-Ort-Einsatz wurde beendet, die Berater sozusagen auf Stand-by, genauer gesagt der Support wurde beim Anbieter bereits an das Servicedesk übergeben. Der Kunde war bis dorthin zufrieden und die Keyuser kümmerten sich weiter um den Support der natürlich weiterhin aufkommenden Probleme. Was dabei nicht auffiel war, dass die Anzahl der insgesamt offenen Aufgaben wieder stark anwuchs. Dies geschah zum einen dadurch, dass die Berater vorher natürlich Probleme wesentlich schneller analysiert haben als die Keyuser, welche nun allein mit der Aufgabe waren. Zum anderen aber auch dadurch, dass sich manche Probleme nun mal nicht direkt in den ersten Tagen zeigen.

Sorgen Sie dafür, dass vonseiten des Anbieters dieses Problem weiterhin mit beobachtet wird. Obwohl kein täglicher Support vor Ort mehr notwendig ist, sollte ein Projektleiter Jour fixe trotzdem mindestens zweimal die Woche durchgeführt werden, bis alle Seiten sicher sind, dass keine weiteren Eskalationen zu erwarten sind.

Stakeholder mögen gerade im Echtstart einen täglichen, kurzen Statusbericht. Ich erachte es für sinnvoll, wenn sich die Projektleiter täglich über den Status abstimmen und gemeinsam eine kurze Statusmail, für einen im Vorfeld abgestimmten Verteiler formulieren. Am besten passiert dies im Rahmen des täglichen Jour fixes, in dem auch die geleisteten Beraterzeiten diskutiert werden.

2 Mitarbeiter des Projektteams beim Videocall.

Die Punkte, die für den ERP-Anbieter gelten, gelten natürlich auch für weitere, ggf. notwendige Dienstleister. Egal, ob Sie ein externes Logistiksystem, einen großen Onlineshop oder sonstige angebundene Systeme nutzen, der Support beim ERP-Echtstart muss gesichert sein. Stellen Sie sicher, dass alle notwendigen Datenmigrationen und Tests abgeschlossen sind und dass die Umsetzung der Echtlösung bereit ist, alle Anwender während des Echtbetriebs zu unterstützen.

Abschließende Gedanken

Wie schon geschrieben, ist die tatsächliche Durchführung eines Echtstarts bis zum Echtbetrieb hochindividuell. Sie sollten unbedingt im Rahmen der ERP-Auswahl bereits denkbare Szenarien mit den möglichen Anbietern diskutieren. Hierbei geht es weniger um eine echte Planung Ihres Echtstarts, sondern viel mehr darum herauszufinden, was der Anbieter an Erfahrungen zu bieten hat. Auch für Referenzgespräche oder Besuche ist dies immer wieder ein gutes Thema, um die Anforderungsanalyse und Optimierung der Testphase zu überprüfen.

Wenn Sie die Möglichkeit haben, starten Sie in einer Zeit, in der ein wenig „Ruhe“ im Unternehmen ist. Großartig eignet sich natürlich der Jahreswechsel. Bei einem Kunden wurde der technische Echtstart vor Weihnachten durchgeführt. Danach wurden die migrierten Daten getestet und die Freigabe der Datenbank für den Echtstart konnte noch vor Weihnachten erfolgen. Nach einem entspannten Weihnachtsfest hat sich das Kernprojektteam zwischen Weihnachten und Neujahr beim Kunden getroffen und es wurden einige der Kernprozesse im Echtsystem durchgeführt:

  • Aufträge und Bestellungen wurden angelegt
  • Dispositionsläufe wurden gestartet und geprüft
  • Wareneingänge und Umlagerungen wurden durchgeführt
  • In der Fertigung wurden Fertigungsaufträge angelegt und gebucht

Ziel war es, dass die wichtigsten Prozesse ein paar Mal durchgeführt wurden, bevor dann der eigentliche Echtstart losging. Des Weiteren hatten wir den Vorteil, dass wir wussten, dass wir auch in der ersten Woche des neuen Jahres keine besonders dringenden Warenausgänge hatten, da die Kunden über den Echtstart frühzeitig informiert wurden. Diese hatten so die Chance, besonders wichtige Materialien ein wenig stärker zu bevorraten. Dieses Beispiel ist nicht für alle Firmen passend. Aber es soll zeigen: Es lohnt sich, über den Start nachzudenken. So kann Ihre Firma besser starten. Und das macht weniger Stress für alle Beteiligten.

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Über den Autor

In seinen Artikeln zum Thema ERP-Software beleuchtet der erfahrene Projektmanager alle relevanten Prozesse. Neben dem Thema Wirtschaftlichkeit steht dabei vor allem die Motivation aller Beteiligten im Vordergrund. Mit seinem bedürfnisorientierten 360°-Konzept und dem 6-Phasen-Modell deckt er alle Aspekte eines erfolgreichen ERP-Projekts ab.